Energieerzeugung in Deutschland:

Was tun gegen das Nord-Süd-Gefälle im Stromsektor? 

Im ersten Halbjahr 2024 deckten erneuerbare Energien bereits rund 58 Prozent des Stromverbrauchs in Deutschland ab – ein Erfolg für die Energie­wende. Der günstige Strom wird vor allem im Norden erzeugt und im industrie­starken Süden verbraucht. Die Probleme dabei: In den nördlichen Bundesländern sinken die Stromkosten dadurch weniger, als sie könnten. Die Netzentgelte steigen sogar vielerorts. Der Süden dagegen profitiert von günstigeren Stromkosten und Netzentgelten, obwohl er weniger zur Energie­wende beiträgt. Schon seit Längerem werden Gegenmaßnahmen diskutiert, die künftig für mehr Gerechtigkeit sorgen sollen. 

Ökostromanteil bei 52 Prozent

erneuerbare Energien

Um den Klimaschutz voranzutreiben und die Wirtschaft mit günstigem Strom zu versorgen, ist der Ausbau der erneuerbaren Energien unabdingbar. Hier konnte Deutschland zuletzt Erfolge verbuchen. Im Jahr 2023 lag der Öko­stromanteil am Bruttostromverbrauch – also an der gesamten Strom­menge, die hierzulande verbraucht wird – schon bei knapp 52 Prozent. Im ersten Halbjahr 2024 stieg er um weitere sechs Prozentpunkte. Das besagen neueste vorläufige Zahlen des Zentrums für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) und des Bundes­verbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW). „Der Ausbau Erneuerbarer Energien hat zuletzt deutlich zugelegt. Klar ist aber auch: Um die Klimaziele zu erreichen, müssen wir noch eine Schippe drauflegen“, so die BDEW-Chefin Kerstin Andreae. Mit dem seit Mai 2024 wirksamen Solarpaket 1, das Teil der Photovoltaik-Strategie des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz ist, und dem Wind-an-Land-Gesetz von 2023 gibt es bereits zwei Instrumente, die dabei helfen könnten, den Ausbau der Erneuer­baren zu beschleunigen.

Anteil Windenergie an den Erneuerbaren

Bruttostromverbrauch 2023

Quelle: https://www.bmwk.de/Redaktion/DE/Dossier/erneuerbare-energien.html

 

Das Zugpferd bei den Erneuerbaren ist eindeutig die Windenergie: 2023 machten Windkraftanlagen an Land und zunehmend auch auf See mit insgesamt 137 Milliarden Kilowattstunden den größten Anteil am Brutto­stromverbrauch aus (52 Prozent). Photovoltaikanlagen lieferten 62 Milliarden Kilowattstunden (23 Prozent), dicht gefolgt von Biomasse mit 50 Milliarden Kilowattstunden (18 Prozent). Wasserkraftanlagen erzeugten 18,7 Milliarden Kilowattstunden (7 Prozent).  

Der Ausbau der Windenergie ist in Deutschland jedoch ungleich verteilt. In Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Branden­burg und in der Nord- und Ostsee stehen Windenergieanlagen mit einer installierten Leistung von insgesamt 42 Gigawatt. Das sind 55 Prozent der gesamten Erzeugungskapazität in Deutschland, also mehr als die übrigen zwölf Bundesländern zusammen in die Waagschale werfen. Dieses Ungleich­gewicht führt zu zwei Problemen: 

 

Problem Nr. 1: Der Norden produziert, profitiert aber kaum

Rund zwei Drittel der Windstromerzeugung werden im Herbst und Winter erbracht. Dann drücken Windräder im Norden enorme Mengen Grünstrom in das Netz. Die Folge: Ist das Stromangebot groß, sinkt der Börsenstrompreis bundesweit. Dann können auch im Süden Unternehmen billig Strom kaufen, obwohl dort fast keine Windenergieanlagen stehen. Von dem günstigen Windstrom profitieren also auch die Industriezonen etwa in der Region München und Stuttgart. Das wiederum finden die Nordländer ungerecht. Das große Angebot an Windenergie in der kalten Jahreszeit würde ihnen günstigere Stromkosten bescheren, würden nur sie damit versorgt. Das verhindert jedoch die Marktarchitektur des Stromgroßhandels. Der Börsen­strompreis ist in Deutschland einheitlich, es gibt nur eine Strompreiszone.  

 

Problem Nr. 2: Hohe Netzausbaukosten im Norden 

Das zweite Problem hat mit der Finanzierung des Stromnetzes zu tun. Windparks entstehen in der Regel auf dem Land. Das lässt die Netzentgelte in ländlichen Regionen steigen, da die Netze für die Einspeisung verstärkt werden müssen. Hinzu kommt: Auf dem Land zahlen die Verbraucher sowieso zumeist höhere Netzentgelte als in den Städten, da hier der Stromverbrauch gering ist und die Leitungen länger sein müssen.  

Das hat Folgen: Nach dem Monitoringbericht der Bundesnetzagentur von 2023 sind die Netzentgelte für Haushaltskunden in Schleswig-Holstein mit durchschnittlich rund 9,8 Cent pro Kilowattstunde (kWh) am teuersten. Am günstigsten weg kommen die Menschen in den Stadtstaaten Bremen (rund 5,9 Cent) und Berlin (rund 6,5 Cent) sowie in Bayern (rund 7 Cent). In einzelnen Netzgebieten können die Netzgebühren mit 20 Cent je kWh äußerst hoch sein und anderswo mit nur 3 Cent unschlagbar niedrig. Doch wie lässt sich dieses Problem lösen? Um die ungleiche Verteilung der finanziellen Lasten der Energiewende auszugleichen, gibt es verschiedene Ideen.

Feld mit Windrädern

Mehrere Strompreiszonen für Deutschland?

Damit Norddeutschland gebührender von dem vor Ort erzeugten Windstrom profitiert, sollte die Marktarchitektur des Stromgroßhandels geändert werden. Das haben einige nördliche Bundesländer schon 2023 erstmals gefordert. Eine Lösung sehen sie in mehreren Preiszonen für Deutschland. Auf diesen Teilmärkten würden sich regionale Preise aus Angebot und Nachfrage bilden. Strom in Bundesländern, die ihn überwiegend importieren, würde tendenziell teurer, in den Exportländern billiger.  

 

Zu beachten ist dabei allerdings: In einer Zone mit knappem Stromangebot steigt der Großhandelspreis nur temporär. Eine Preisdifferenz zu einer benachbarten Zone tritt nur auf, wenn das Stromnetz die Elektrizität nicht in die Zone mit Stromknappheit transportieren kann, weil die Leitungen überlastet sind. An diesem Problem arbeiten die Übertragungsnetzbetreiber jedoch längst. Der Ausbau der Übertragungsnetze in Deutschland schreitet voran, Preisdifferenzen in einem Land mit zwei Preiszonen statt wie bisher nur einer, dürften so bald seltener werden. Trotzdem gäbe es mit zwei Preiszonen etliche Stunden, in denen der Strom an der Großhandelsbörse in Süddeutschland teurer wäre als in Norddeutschland.  

 

Die südlichen Bundesländer beharren daher darauf, das geltende Strom­preissystem beizubehalten. In einer gemeinsamen Erklärung betonten sie im Mai 2023, dass eine einheitliche Strompreiszone „ein zentraler Aus­druck des einheitlichen deutschen Wirtschaftsraums“ sei. „Wer solchen Zonen das Wort redet, legt die Axt an den Industriestandort Deutschland und gefährdet Süddeutschland als industrielles Herz der Republik“, mahnte auch der bayrische Ministerpräsident Markus Söder in der „Süddeutschen Zeitung“. Der Widerstand ist vor allem in Bayern und Baden-Württemberg groß, aber auch im Industrieland Nordrhein-Westfalen. Ein geteilter Strom­markt würde dort zu etwas höheren Strompreisen führen – es sei denn, diese Bundes­länder bauten die Windenergie bei sich deutlich stärker aus.  

Reformkonzept für faire Strom-Netzentgelte in der Diskussion

Es gibt aber noch eine andere Idee, mit der sich der finanzielle Ausgleich zwischen Nord und Süd erreichen ließe. So arbeitet die Bundesnetzagentur aktuell an einer Reform des Netzentgelts. Ein Großteil der Mehrkosten für den Netzausbau soll in Zukunft auf alle Verbraucherinnen und Verbraucher umgelegt werden, heißt es in einem Entwurf. Dadurch würden sich die Netzentgelte in den Regionen Deutschlands angleichen, jene im Norden sinken, die im Süden steigen. Ein nennenswerter Widerstand der Südländer gegen die geplante Reform ist bislang nicht bekannt – aber auch dieser Vorschlag für eine Kostenumverteilung zwischen den Bundesländern wird sicher in den kommenden Wochen und Monaten noch für kontroverse Diskussionen sorgen.

Stromversorgung NRW:

Erneuerbare Energien gewinnen, Kohle verliert an Bedeutung

Die Energiewende in Nordrhein-Westfalen macht Fortschritte. Knapp ein Viertel des hier eingespeisten Stroms stammte 2023 aus erneuerbaren Energieträgern – ein neuer Höchstwert. Der Löwenanteil davon kam aus Windkraft (56,2 Prozent), gefolgt von Solarenergie (22,2 Prozent) und Biogas (10,8 Prozent). Seit 2018 hat sich der Grünstromanteil nach neusten Zahlen des „Landesbetrieb Information und Technik Nordrhein-Westfalen“ nahezu verdoppelt. Zwar wird weiterhin die Hälfte des Stroms im Industrieland NRW aus Kohle (52,3 Prozent) gewonnen, dennoch verzeichnete die Kohleverstromung von allen Energieträgern seit 2018 den höchsten Rückgang (-48,3 Prozent).  

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