Ganz weit draußen: Floating Offshore Wind Energy
Dennoch ist die Meeres-Windkraft im Vergleich zu der an Land ein Zwerg. Dafür gibt es einen guten Grund: Nur fünf Prozent der für die Windindustrie attraktiven Meereszonen sind flach genug für herkömmliche Turbinen mit festem Fundament. Diese lassen sich nur in Wassertiefen von 30 bis 60 Meter wirtschaftlich errichten. Deshalb bringen Ingenieure den Windrädern seit ein paar Jahren das Schwimmen bei. Die Technologie heißt im Fachjargon Floating Offshore Wind Energy und dient dazu, auch meilenweit vom flachen Küstensaum entfernte Standorte für die klimafreundliche Stromerzeugung zu erschließen.
„Hywind“ Wind Farm: Tanzende Riesen
In einem tiefen norwegischen Fjord wurden die vorgefertigten Bauteile mit hohem Aufwand montiert und von Seeschleppern zu ihrem 500 Kilometer entfernten Bestimmungsort gebracht.
Die weltweit erste kommerzielle Floating Offshore Wind Farm ging 2017 vor der schottischen Nordseeküste ans Netz: „Hywind Scotland". Ihre fünf Turbinen stehen auf sogenannten Spar-Bojen aus Stahlrohr. Vom Fuß bis zur Rotorspitze misst die ganze Konstruktion 253 Meter und überragt damit die New Yorker Freiheitsstatue zwei Mal. Ein Drittel der Stahlkonstruktion befindet sich allerdings unter Wasser. Allein dieses stabilisierende Ballastteil bringt 3.500 Tonnen auf die Waage. Am Meeresboden in bis zu 120 Metern Tiefe vertäut, tänzeln die Spar-Bojen lotrecht im Wasser, vergleichbar mit dem Schwimmer einer Angel.
Stattliche 200 Millionen Euro kostete dieser Windpark. Die Winderträge indes übertrafen selbst die kühnsten Erwartungen. Mehr als 50 Prozent des Jahres soll Hywind Scotland seine volle Leistung von 30 Megawatt (MW) abrufen – ein neuer Rekord für die in Europa führende britische Offshore-Windindustrie. Ermutigt von diesem Triumph ging im Herbst 2021 vor Aberdeen ein zweites Projekt in Betrieb. Mit 50 MW galt „Kincardine“ ein Jahr lang als weltgrößter schwimmender Windpark. Rein rechnerisch können von seinen Erträgen 50.000 Haushalte leben. Neuer Rekordhalter ist seit November 2022 die Hywind Tampen Floating Wind Farm. Zur Energiewende dürften die elf norwegischen Turbinen der 8-MW-Klasse jedoch kaum beitragen, denn ihre Bestimmung ist es, fünf Öl- und Gasförderplattformen mit grünem Strom zu versorgen.
Schwimmende Windkraftwerke: Kosten müssen sinken
Windrad Nezzy2 – das Doppelrotor-Ungeheuer
Weltweit werden Konzepte für die Floating Offshore-Windenergie entwickelt und erprobt. Zu den radikaleren Ideen zählen Windräder mit nur zwei Flügeln oder gleich mit mehreren Rotoren auf einem Schwimmkörper. Im Greifswalder Bodden haben der Energiekonzern EnBW und der norddeutsche Windanlagenbauer Aerodyn 2020 einen 18 Meter hohen Prototypen mit zwei Rotoren im Maßstab 1:10 erfolgreich zum Schwimmen gebracht. Mit 180 Sensoren wurde untersucht, wie sich „Nezzy2“ bei wechselnden Winden und stürmischer See verhält. Jetzt ist man auf Suche nach einem geeigneten Standort für einen 1:1-Prototypen.
Der Bau schwimmender Windturbinen stellt die Ingenieure vor große Herausforderungen. Schließlich müssen die Anlagen auch schwersten Stürmen und Riesenwellen trotzen. Als Blaupause für die Schwimmkörper dienen die Bohrinseln der Öl- und Gasindustrie. Bislang werden diese in großen Trockendocks nach komplizierten Bauplänen zusammengeschweißt, was die Fertigungs- und Montagekosten explodieren lässt. Einer, der das ändern will, ist der Däne Henrik Stiesdal. „Wenn die Offshore-Erzeugung ein Schlüsselelement der künftigen Energieversorgung werden soll, dann muss sie günstig sein“, lautet sein Credo. 1991 brachte Stiesdal als Chefentwickler der Siemens-Windsparte den ersten Offshore-Windpark der Welt vor der Insel Lolland ans Netz. Inzwischen hat er seine eigene Firma gegründet und arbeitet an der Vision, mit schwimmenden Windkraftwerken einmal die ganze Menschheit zu versorgen.
TetraSpar Floating Wind: Pyramiden auf See
Dazu hat er einen Schwimmkörper aus industriell vorgefertigten Stahlrohrelementen in Form eines Tetraeders entwickelt, der im Hafen nur noch zusammengesteckt und mit Bolzen gesichert wird. Ein einziehbarer Ballastkiel hält die schwere Windturbine aufrecht. Er wird erst am Ziel auf den Meeresboden herabgelassen, die teure Montage im Tiefwasser entfällt. Mit internationalen Partnern, darunter RWE Renewables, testet der Offshore-Pionier die „TetraSpar“ getaufte Plattform seit Ende 2021 im 200 Meter tiefen Wasser vor der Atlantikküste Norwegens.
Durchbruch für Floating Wind
Legende: deep = tief, transitional = übergangs, shallow = seicht, power cable = Stromkabel, substation = Umspannwerk, power grid = Stromnetz
Viele Experten rechnen mit dem kommerziellen Durchbruch für Floating Wind bis zum Jahr 2030. In Europa, Asien und den USA sind bereits Projekte im Gigawattbereich in der Planung. Hierzulande beschränkt sich das Engagement auf die Beteiligung an internationalen Forschungsvorhaben: Nord- und Ostsee sind nun einmal flach genug für fest gebaute Windturbinen. Die Zukunftschancen auch für hiesige Windenergieunternehmen, die Technologie einmal zu exportieren, sind dennoch riesig. Denn nahezu überall auf dem Globus geht es an den Küsten rasant steil bergab. Für schwimmende Windräder aber wäre das keine Hürde. In Zukunft kommen sogar Länder für die Offshore-Windenergie in Betracht, die gar nicht am Meer liegen. Sie könnten schwimmende Windkraftwerke einfach in internationalen Gewässern bauen.
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TetraSpar Demonstrator ApS
Jan Oelker, EnBW
GELSENWASSER AG