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Größtes Windrad Deutschlands

Ingenieure testen das Potenzial in NRW

Die Stadt Jüchen hat jetzt ihren „Eiffel­turm”

Die Stadt Jüchen hat jetzt ihren „Eiffel­turm”. Nur etwa 30 Meter kleiner als das Pariser Wahr­zeichen ist der Windmess­mast aus 99 Stahl­gitter-Elementen, der im Windpark „Jüchen A 44n“ am Rande des Tagebaus Garz­weiler steht. 300 Meter hoch überragt er selbst die sechs Windräder, die sich seit Frühjahr 2024 in dem Windpark des Energie­konzerns RWE drehen. Mit 238 Metern sind sie noch deutlich kleiner.

Die Aufgabe des höchsten Windmess­masts der Welt: Forschung. Überprüft werden soll hier im Rheinischen Revier zwischen Köln, Aachen und Mönchen­gladbach das Potenzial für eine neue Generation von Windkraft­anlagen, die in bislang unerreichte Höhen vorstößt. Das feder­führende Ingenieur-Consult-Unternehmen GICON aus Dresden, das den Riesenmast entwickelt hat, begann am 30. Oktober 2024 mit den Windmessungen. Doch im Unterschied zum 1889 fertig­gestellte Pariser Eiffelturm, wird das Jüchener Pendant nach Abschluss der Messungen wieder abgebaut und zum nächsten Forschungs­standort transportiert.

Der vom Bund finanzierte Prototyp in Schipkau wird von der GICON-Gruppe im Auftrag der Beventum GmbH, einer Tochtergesellschaft der Bundesagentur für Sprunginnovationen (SPRIND), realisiert. Wenn alles nach Plan läuft, kann das Höhenwindrad im Sommer 2025 in Betrieb gehen.

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Größtes Windrad Deutschlands entsteht derzeit in der Lausitz

Vor Jüchen war der GICON-Windmess­mast etwa ein Jahr lang in der südbranden­burgischen Gemeinde Schipkau (Oberspree­wald-Lausitz) in Betrieb. Dort wurde im September 2024 im Windpark Klettwitz, einem der leistungs­stärksten Europas, der Grundstein für das erste Höhen­windrad Deutschlands und der Welt gelegt. Das Zentrum der Nabe soll sich 300 Meter über dem Boden befinden, die Enden der Rotorblätter noch einmal 63 Meter darüber kreisen. Selbst das höchste Gebäude Deutschlands, der Berliner Fernsehturm, ist mit 368 Metern nur fünf Meter höher. Gängige Windkraft­anlagen, die heute errichtet werden, sind mit einer Nabenhöhe von rund 140 Metern nicht einmal halb so groß. Und es sind sogar Flügel­längen von 100 Meter möglich, mit denen insgesamt eine Höhe von rund 400 Metern erreicht werden kann.

Erträge vergleichbar mit Offshore-Windkraft

Höhenwindräder sollen es ermöglichen, die stärkeren und stetigeren Winde in großen Höhen zu nutzen, die für herkömmliche Anlagen bislang nicht zugänglich waren. Dort habe der Wind „nicht nur höhere Mittelwerte, sondern auch eine breitere Verteilung, was zu deutlich mehr Volllaststunden bei Windenergieanlagen führt“, sagte GICON-Gründer und -Geschäftsführer Jochen Großmann im September 2024 im MDR-Fernsehen. Im Vergleich zu normalen Anlagen mit gleichem Rotordurchmesser sei der Stromertrag mehr als doppelt so groß. Das hätte sich bei den Windmessungen in Schipkau bereits in den ersten Tagen abgezeichnet. Das Höhenwindrad könnte laut Großmann „ein echter technologischer Durchbruch bei der Windenergie an Land“ sein. Die Technologie sei vergleichbar mit Offshore-Anlagen auf See, aber eben bei Onshore-Betriebsverhältnissen. „Das bedeutet die Kosten bei der Errichtung und Wartung sind deutlich geringer, was sich positiv auf die Wirtschaftlichkeit auswirkt“, so der GICON-Chef.

XXL-Windrad: Höhe statt Fläche

Ein weiterer Vorteil der Höhen­windräder: Sie benötigen keine zusätzliche Fläche, weil sie zwischen bestehende Anlagen gebaut werden können. Die Türme sind so hoch, dass sich die Rotoren nicht überschneiden und gegenseitig den Wind wegnehmen. So wird es möglich, die XXL-Turbinen als zweites oder gar drittes Stockwerk in bestehende Windparks mit mittleren und kleinen Windrädern zu integrieren. Das Ziel: weniger Standorte, aber ein erheblich höherer Energieertrag. Interessant ist das Mehr-Etagen-Konzept auch deshalb, weil die neuen Türme keine aufwendigen neuen Genehmigungs­verfahren durchlaufen müssen.  

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Größtes Windrad der Welt zu hoch für Kräne

Der von den GICON-Ingenieuren entwickelte Turm des Höhen­windrads wird als Stahlfach­werkkonstruktion errichtet. Da es noch keinen Kran gibt, der in der Lage ist, das Maschinen­haus mit dem Generator auf eine Höhe von 300 Metern zu hieven, soll er aus zwei Teilen bestehen, dem festen Außenturm und einen verschiebbaren Innenturm. Zur Montage des Maschinen­hauses – und für spätere Wartungsarbeiten – würde der innere Turm so weit heruntergefahren, dass ein Kran die Turmspitze erreichen kann.

In den kommenden Jahren möchte GICON in Deutschland bis zu 1.000 solcher Anlagen auf bereits genutzte Flächen in Deutschland bauen. Perspektivisch könnten sie dann mit etwa 10.000 MW (10 GW) die Kapazität der deutschen Windindustrie ergänzen und so der Energie­wende neuen Schub geben. Und ein solcher wird dringend gebraucht, denn der Windkraft­ausbau an Land läuft immer noch zu schleppend. Zwar ersetzen Betreiber viele ihrer alten Turbinen durch neue, leistungs­stärkere Anlagen. „Repowering“ allein jedoch reicht nicht, denn bis 2030 sollen mindestens 80 Prozent des Bruttostrom­verbrauchs mit erneuerbaren Energien gedeckt werden. Um das zu schaffen, müssen nach Berechnungen der Bundes­regierung jedes Jahr mindestens zehn Gigawatt Windleistung zugebaut werden. 2023 waren es erst dreieinhalb. 

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Batcorder erforschen Verhalten von Fledermäusen

An dem XXL-Windmessmast in Jüchen wurden zu Forschungszwecken sogenannte „Batcorder“ angebracht. Sie sollen die Rufe von Fledermäusen auffangen. Denn die sich schnell drehenden Flügel von Wind­energie­anlagen können laut Umwelt­schützern eine Gefahr für die nachtaktiven fliegenden Säugetiere darstellen. Im WDR-Fernsehen erklärte der Betreiber des Windmess­masts GICON, dass die Gefährdung bei Höhen­windrädern geringer sein soll: „Unsere Messungen zeigen, dass diese Tiere in großer Höhe praktisch nicht unterwegs sind.“ 

Ist Windenergie die Lösung für ehemalige Braunkohlereviere?

Sowohl das Rheinische Revier wie auch die Reviere in den ostdeutschen Bundesländern hätten laut SPRIND Interesse daran, zu „windenergie­basierten Innovations- und Produktions­regionen” zu werden. Einen Vorteil hätte diese Vision auch für die Anwohner, denn anders als die gigantischen Bagger und Förderbrücken im Braunkohle­tagebau verursachen Windparks deutlich weniger Lärm und keinen Staub. 

Die Messungen an der A 44n in Jüchen werden bald zeigen, ob Höhen­windräder im Rheinischen Revier eine Zukunft haben. Schon in sechs Jahren sollen hier die letzten Braunkohle­kraftwerke vorzeitig vom Netz gehen. Bis dahin ist mit einem schnell wachsenden Bedarf an sauberem Strom zur Elektrifizierung des Industrie-, Gebäude- und Verkehrssektors zu rechnen – und zur Erzeugung von grünem Wasserstoff, der langfristig Erdgas und Kohle als Energieträger beispielsweise in der Stahlproduktion, in Gaskraft­werken und vielen weiteren Bereichen verdrängen soll.  

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