Von Dämmerwald bis Nationalpark Eifel: Wandern im Urwald von morgen

Eine Wanderung durch den National­park Eifel ist eine einmalige Natur­erfahrung. Doch auch in anderen Gegenden von NRW kommt die Wildnis wieder zu ihrem Recht. Wir zeigen Ihnen, wo der Urwald von morgen entsteht, warum er so dringend gebraucht wird und was es dort zu entdecken gibt.

Vor Tausenden von Jahren bedeckten mächtige Buchen- und Eichen­wälder das heutige Nord­rhein-West­falen. Gegen­wärtig sind nur noch 935.000 Hektar bewaldet, etwas mehr als ein Viertel der Landes­fläche. Unser sogenannter „Wald“ fühlt sich aller­dings nur so an wie Natur, in Wirk­lichkeit ist er bewirtschaftet. Bäume werden gesetzt, gefällt und entnommen. Doch in Zukunft soll es wieder echte „Urwald“-Flächen geben – überall in NRW.

Wo Axt und Säge ruhen

Auf rund zehn Prozent der Staats­wald­flächen NRWs wird schon heute kein Holz mehr geschlagen. Teile davon stehen als „Wildnis-Entwicklungs­gebiete“ unter soge­nanntem Prozess­schutz. Bedeutet: In diesen alten Laub­misch­wäldern müssen Axt und Säge ruhen. Jeder Baum darf wachsen, alt werden, umfallen und verrotten. Der Mensch greift nirgends ein. So soll sich der Alt- und Tot­holz­anteil stark erhöhen, damit hoch­spezialisierte, vom Aus­sterben bedrohten Arten überleben können.

Forstarbeiter setzt Kettensäge an

Urwälder aus zweiter Hand

Klicken Sie auf die Karte, um zu sehen, wo sich die Flächen für Entwicklungs­gebiete befinden.

100 große und kleine Wildnis-Entwicklungs­gebiete auf knapp 8.000 Hektar – das sind rund 10.000 Fuß­ball­felder – wurden in NRW seit 2017 für die natürliche Entwicklung „freigestellt“. Eines Tages sollen daraus kleine Urwälder aus zweiter Hand erwachsen. Die aber nichts mit den urwüchsigen Wäldern Kanadas oder Skan­dina­viens gemein haben, wo man tage­lang wandern kann, ohne eine Menschen­seele zu treffen. Auch Wolf und Bär werden dort keine Rolle spielen. „Es seien viel­mehr kaum wahr­nehmbare, langsame Entwicklungen, die hier vonstatten­gehen“, heißt es auf der Website des Landesbetriebs Wald und Holz NRW. Die neue Wildnis brauche Jahr­zehnte, womöglich Jahr­hunderte, um sich zu entfalten – und dabei will der Mensch möglichst nicht stören, allenfalls Zaungast sein.

Wildnis-Entwicklungsgebiete fördern Artenvielfalt und Klimaschutz

Der Wald als CO2-Speicher - symbolisch

Schon heute lässt sich hier beobachten, wie sich in den Wildnis-Entwicklungs­gebieten ein neues Werden und Vergehen einstellt und die Arten­vielfalt zunimmt. Denn bei den Projekten geht es nicht so sehr um Wald­romantik, sondern darum, einen Beitrag zum Erhalt der Bio­diversität und für den Klima­schutz zu leisten. Das Wald­öko­system ist ein gigantischer CO2-Speicher. Aus­gewählte Wildnis-Entwicklungs­gebiete in NRW sollen jedoch der Öffent­lichkeit zugänglich gemacht werden, damit Besucher*innen erleben können, wie sich Wälder auch ohne menschliche Steuerung, standort­gerecht und natur­nah entwickeln. Wir stellen Ihnen hier drei davon vor.

Naturerbe-Buchenwald bei Altenbeken

Bereits Anfang der 1970er-Jahre begann NRW damit, „Natur­wald­zellen“ in seinen Staats­wäldern auszu­weisen; heute gibt es 170 davon. Die Flächen sind in der Regel in größere Wald­gebiete eingebettet und dort von ähnlich alten, natur­nah bewirtschafteten Wäldern umgeben. Deshalb fallen den Besucher*innen die Unter­schiede zwischen Natur- und Normal­wald oft nicht sofort auf. Das ist zum Beispiel rund um die Gemeinde Alten­beken im Kreis Pader­born der Fall, wo einer der ursprünglichsten Natur­räume in NRW beheimatet ist. Teile des Wald­natur­schutz­gebiets Egge-Nord sind hier seit Jahr­zehnten mehr oder weniger sich selbst überlassen. Manche der mächtigen Buchen in diesen Natur­wald­zellen sind mindestens 150 Jahre alt. Seltene Tier- und Pflanzen­arten haben in dem „Natur­erbe-Wald“, so sein touristischer Name, einen Lebens­raum gefunden. Auf der Website Naturerbe Wanderwelt werden Kurz­wanderungen, aber auch Tages- und Mehr­tages­routen vorgestellt. Einer der Wege, der Buchen-Wildnis-Pfad, ist in Teilen barrierefrei.   

Alte Buche

Richtiges Verhalten im Wald

Wildnis-Entwicklungsgebiete und Natur­wald­zellen liegen oft in Natur­schutz­gebieten. Deshalb ist das Betreten abseits der Wege dort in aller Regel unter­sagt, genauso wie das Sammeln von Pflanzen oder Pilzen. Aber auch in einem „Normal“-Wald halten Sie sich am besten an die Wege, denn Sträucher, Gräser und junge Bäume wachsen besser, wenn sie keiner zertrampelt. Wer sich leise verhält, verschreckt auch das Wild nicht und kann es länger beobachten. Hunde sind unbedingt anzuleinen! Müll liegen­lassen ist ein absolutes No-Go, denn der kann für Wild­tiere lebens­bedrohlich werden. Und natürlich sollte man die wald­typischen Gefahren wie herunter­fallende Äste und Stolper­fallen beachten.

Quer durch, mittendrin: In vier Tagen durch den Nationalpark Eifel

Holzbrücke im Nationalpark Eifel

Das größte Wildnis-Entwicklungs­gebiet in NRW ist der erst 2004 gegründete National­park Eifel, der allerdings noch in der Entstehung ist. Auf rund 110 Quadrat­kilo­metern überlässt man hier die Natur immer mehr sich selbst. Ein Wildnis-Trail schlängelt sich auf 85,3 Kilo­meter Länge in vier Tages­etappen einmal mitten­durch. Die Entwicklung zur Wildnis von morgen ist ein spannender Prozess, der sich bei einer National­park-Durch­querung auf Schritt und Tritt mit­erleben lässt. Mit den Offline-Karten des Nationalparks Eifel oder auch von Koomot können Sie sich kaum verlaufen. Doch Achtung: Der Trail erfordert eine gute Kondition und Trittsicherheit. 

Biberfamilie
Luchs
Gänsegeier

Stimmen in der Wildnis: Welche Tiere gibt es im Nationalpark Eifel?

Die naturnahen Laubwälder, die arten­reichen Wiesen, die beein­druckenden Fels­formationen und wilden Bäche im National­park Eifel erfreuen nicht nur das Herz des Wander­fans. In vielen dieser Lebens­räume fühlen sich auch zahl­lose Tier-, Pilz- und Pflanzen­arten heimisch, die in der Eifel, in NRW oder sogar in ganz Deutsch­land als gefährdet gelten. Biber, Wild­katze oder Luchs sind nur die Bekanntesten – fast 11.200 Tier- und Pflanzen­arten sind im National­park bereits nach­gewiesen worden, 2.562 davon stehen auf Roten Listen. Diese Datenbank zeigt, wo welche Tiere (und Pflanzen) am ehesten anzutreffen sind. Ein Stimmen­archiv hilft dabei, die Tiere zu erkennen.

Immer häufiger werden im National­park Eifel Gänse­geier gesichtet. Die Aas­fresser mit einer Flügel­spann­weite von fast drei Metern sind laut WWF Deutsch­land hierzu­lande seit gut 200 Jahren ausgestorben! Die National­park­verwaltung geht davon aus, dass es sich bisher nur um Gäste handelt. Trotz­dem ein Erfolg für den noch so jungen Nationalpark.

 

Abenteuer Wildnis im Dämmerwald

Die Broschüre der Gemeinde Schermbeck gibt viele Tipps, wie man sich achtsam durch den Dämmerwald bewegt und dabei viel entdecken kann. 

unberührter Wald - bemooster umgekippter Baum

In der Gemeinde Schermbeck im Natur­park Hohe Mark, West­münster­land, liegt ein 1.450 Hektar großes zusammen­hängendes Wald­gebiet: der Dämmer­wald. Auf seinen sauren Böden wachsen atlantisch geprägte, sprich: Regen gewohnte, Eichen-Buchen-Misch­wälder. Als natur­naher Wald ist er ein „Trittstein“ im europa­weiten Biotop­verbund „Natura 2000“ und bietet gefährdeten Arten wie Wild­katze, Specht, Wald­fleder­maus und Totholz­käfer eine sichere Heimat. Ein kleiner Teil wurde zum Wildnis-Entwicklungs­gebiet erklärt. Statt Mountainbike-Trails gibt es hier einen zwei­einhalb Kilo­meter langen Erlebnis­pfad, der ganz nah an die Natur heranführt, ohne sie zu stören. Was im Dämmer­wald wächst und wer dort lebt, zeigen Tafeln oder wahlweise auch eine App.

Sanfte Waldwirtschaft mit Wohlleben

Peter Wohlleben ist der wahrscheinlich bekannteste Förster Deutsch­lands – und einer mit Sinn fürs Geschäft, das er aber zum Wohl des Waldes einzusetzen weiß. In seiner Waldakademie in Wers­hofen/Eifel, kurz hinter der NRW-Landes­grenze in Rhein­land-Pfalz, können Sie zum Beispiel für 289 Euro eine gesellige Nacht unter freiem Himmel verbringen – Wald-Kino und Cowboy-Romantik inklusive. Das ist doch mal ein besonderes Geburtstags­geschenk. Oder Sie ziehen einen Tag lang mit dem Pferde­rücker in den Wald (109 Euro). Vereinzelt setzen Forst­wirte heute wieder auf die Arbeit mit Kalt­blütern, die das geschlagene Holz bis zum nächsten befestigten Wald­weg ziehen, ohne tiefe Reifen­spuren im Wald­boden zu hinterlassen.

Natürlich darf auch die Wald­wanderung zum „geheimen Leben der Bäume“ nicht fehlen (109 Euro), benannt nach Peter Wohllebens Best­seller über Bäume und Pilze, die in seiner Theorie ein gigantisches Kommunikations­netz im Boden spinnen.

Bildnachweis

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