Wo Axt und Säge ruhen
Urwälder aus zweiter Hand
Klicken Sie auf die Karte, um zu sehen, wo sich die Flächen für Entwicklungsgebiete befinden.
100 große und kleine Wildnis-Entwicklungsgebiete auf knapp 8.000 Hektar – das sind rund 10.000 Fußballfelder – wurden in NRW seit 2017 für die natürliche Entwicklung „freigestellt“. Eines Tages sollen daraus kleine Urwälder aus zweiter Hand erwachsen. Die aber nichts mit den urwüchsigen Wäldern Kanadas oder Skandinaviens gemein haben, wo man tagelang wandern kann, ohne eine Menschenseele zu treffen. Auch Wolf und Bär werden dort keine Rolle spielen. „Es seien vielmehr kaum wahrnehmbare, langsame Entwicklungen, die hier vonstattengehen“, heißt es auf der Website des Landesbetriebs Wald und Holz NRW. Die neue Wildnis brauche Jahrzehnte, womöglich Jahrhunderte, um sich zu entfalten – und dabei will der Mensch möglichst nicht stören, allenfalls Zaungast sein.
Wildnis-Entwicklungsgebiete fördern Artenvielfalt und Klimaschutz
Schon heute lässt sich hier beobachten, wie sich in den Wildnis-Entwicklungsgebieten ein neues Werden und Vergehen einstellt und die Artenvielfalt zunimmt. Denn bei den Projekten geht es nicht so sehr um Waldromantik, sondern darum, einen Beitrag zum Erhalt der Biodiversität und für den Klimaschutz zu leisten. Das Waldökosystem ist ein gigantischer CO2-Speicher. Ausgewählte Wildnis-Entwicklungsgebiete in NRW sollen jedoch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, damit Besucher*innen erleben können, wie sich Wälder auch ohne menschliche Steuerung, standortgerecht und naturnah entwickeln. Wir stellen Ihnen hier drei davon vor.
Naturerbe-Buchenwald bei Altenbeken
Richtiges Verhalten im Wald
Wildnis-Entwicklungsgebiete und Naturwaldzellen liegen oft in Naturschutzgebieten. Deshalb ist das Betreten abseits der Wege dort in aller Regel untersagt, genauso wie das Sammeln von Pflanzen oder Pilzen. Aber auch in einem „Normal“-Wald halten Sie sich am besten an die Wege, denn Sträucher, Gräser und junge Bäume wachsen besser, wenn sie keiner zertrampelt. Wer sich leise verhält, verschreckt auch das Wild nicht und kann es länger beobachten. Hunde sind unbedingt anzuleinen! Müll liegenlassen ist ein absolutes No-Go, denn der kann für Wildtiere lebensbedrohlich werden. Und natürlich sollte man die waldtypischen Gefahren wie herunterfallende Äste und Stolperfallen beachten.
Quer durch, mittendrin: In vier Tagen durch den Nationalpark Eifel
Das größte Wildnis-Entwicklungsgebiet in NRW ist der erst 2004 gegründete Nationalpark Eifel, der allerdings noch in der Entstehung ist. Auf rund 110 Quadratkilometern überlässt man hier die Natur immer mehr sich selbst. Ein Wildnis-Trail schlängelt sich auf 85,3 Kilometer Länge in vier Tagesetappen einmal mittendurch. Die Entwicklung zur Wildnis von morgen ist ein spannender Prozess, der sich bei einer Nationalpark-Durchquerung auf Schritt und Tritt miterleben lässt. Mit den Offline-Karten des Nationalparks Eifel oder auch von Koomot können Sie sich kaum verlaufen. Doch Achtung: Der Trail erfordert eine gute Kondition und Trittsicherheit.
Stimmen in der Wildnis: Welche Tiere gibt es im Nationalpark Eifel?
Die naturnahen Laubwälder, die artenreichen Wiesen, die beeindruckenden Felsformationen und wilden Bäche im Nationalpark Eifel erfreuen nicht nur das Herz des Wanderfans. In vielen dieser Lebensräume fühlen sich auch zahllose Tier-, Pilz- und Pflanzenarten heimisch, die in der Eifel, in NRW oder sogar in ganz Deutschland als gefährdet gelten. Biber, Wildkatze oder Luchs sind nur die Bekanntesten – fast 11.200 Tier- und Pflanzenarten sind im Nationalpark bereits nachgewiesen worden, 2.562 davon stehen auf Roten Listen. Diese Datenbank zeigt, wo welche Tiere (und Pflanzen) am ehesten anzutreffen sind. Ein Stimmenarchiv hilft dabei, die Tiere zu erkennen.
Immer häufiger werden im Nationalpark Eifel Gänsegeier gesichtet. Die Aasfresser mit einer Flügelspannweite von fast drei Metern sind laut WWF Deutschland hierzulande seit gut 200 Jahren ausgestorben! Die Nationalparkverwaltung geht davon aus, dass es sich bisher nur um Gäste handelt. Trotzdem ein Erfolg für den noch so jungen Nationalpark.
Abenteuer Wildnis im Dämmerwald
Die Broschüre der Gemeinde Schermbeck gibt viele Tipps, wie man sich achtsam durch den Dämmerwald bewegt und dabei viel entdecken kann.
In der Gemeinde Schermbeck im Naturpark Hohe Mark, Westmünsterland, liegt ein 1.450 Hektar großes zusammenhängendes Waldgebiet: der Dämmerwald. Auf seinen sauren Böden wachsen atlantisch geprägte, sprich: Regen gewohnte, Eichen-Buchen-Mischwälder. Als naturnaher Wald ist er ein „Trittstein“ im europaweiten Biotopverbund „Natura 2000“ und bietet gefährdeten Arten wie Wildkatze, Specht, Waldfledermaus und Totholzkäfer eine sichere Heimat. Ein kleiner Teil wurde zum Wildnis-Entwicklungsgebiet erklärt. Statt Mountainbike-Trails gibt es hier einen zweieinhalb Kilometer langen Erlebnispfad, der ganz nah an die Natur heranführt, ohne sie zu stören. Was im Dämmerwald wächst und wer dort lebt, zeigen Tafeln oder wahlweise auch eine App.
Sanfte Waldwirtschaft mit Wohlleben
Peter Wohlleben ist der wahrscheinlich bekannteste Förster Deutschlands – und einer mit Sinn fürs Geschäft, das er aber zum Wohl des Waldes einzusetzen weiß. In seiner Waldakademie in Wershofen/Eifel, kurz hinter der NRW-Landesgrenze in Rheinland-Pfalz, können Sie zum Beispiel für 289 Euro eine gesellige Nacht unter freiem Himmel verbringen – Wald-Kino und Cowboy-Romantik inklusive. Das ist doch mal ein besonderes Geburtstagsgeschenk. Oder Sie ziehen einen Tag lang mit dem Pferderücker in den Wald (109 Euro). Vereinzelt setzen Forstwirte heute wieder auf die Arbeit mit Kaltblütern, die das geschlagene Holz bis zum nächsten befestigten Waldweg ziehen, ohne tiefe Reifenspuren im Waldboden zu hinterlassen.
Natürlich darf auch die Waldwanderung zum „geheimen Leben der Bäume“ nicht fehlen (109 Euro), benannt nach Peter Wohllebens Bestseller über Bäume und Pilze, die in seiner Theorie ein gigantisches Kommunikationsnetz im Boden spinnen.
Bildnachweis
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